
Wieviel Europa braucht die Schweiz heute?
Europa – näher an Europa: Das müsste die Schweizer Antwort auf die Trump’sche Machtpolitik sein. Denn die Schweiz ist nicht nur wirtschaftlich mit niemandem stärker verflochten als mit den Ländern der EU, sie teilt mit ihnen auch die grundlegenden Werte des Gesellschaftsliberalismus, der sozialen Wohlfahrt und Solidarität und seit einiger Zeit auch des Umwelt- und Klimaschutzes. Nicht, dass das alles erfüllt wäre, sonst gäbe es keine Diversity-Bewegung, die für Grundrechte und gesellschaftliche Teilhabe wirklich aller kämpft, und es bräuchte keinen linksgrünen und gewerkschaftlichen Druck in sozialen Belangen.
Am Klimaschutz zeigt sich, wie diametral die Trump-USA und Europa gerade auseinanderdriften. Während Trump das Klimaabkommen von Paris erneut aufgekündigt hat, bewilligt der Deutsche Bundestag 100 Milliarden Euro für den deutschen Klima- und Transformationsfonds. Die Einlage wird dem Klimaschutz neuen Schwung geben und die Abhängigkeit von Erdöl- und Erdgasimporten reduzieren.
Europäische Werte sind schweizerische Werte!
Die genannten europäischen Grundwerte sind gegenwärtig stark unter Druck. Das konservative, männerdominierte Trump-Regime orientiert sich nicht am Prinzip des gleichen Rechts für alle, sondern beansprucht das Recht des Stärkeren. Zu sehen besonders in der Aussenpolitik, wo Trump ohne Not mit Zöllen, Entzug von Hilfeleistungen, Einschüchterungen und Drohungen für Verunsicherung und wirtschaftliche Instabilität sorgt. Zu sehen im amerikanischen Inland, wo das Regime staatliche Angestellte ohne Grund entlässt, Institutionen zugrunde gerichtet, Minderheiten diskreditiert und bereits Inhaftierungen von politisch Andersdenkenden – wie an der Columbia Universität – vorgenommen hat, dies ohne eine Anklage.
„Europa ist in sehr kurzer Zeit sehr viel näher gerückt“
Es ist erstaunlich, wie ruhig es in unserer Landesregierung angesichts der bedrohlichen Verschiebungen ist. Die seltsame Beschwichtigung der Bundespräsidentin nach der arroganten Münchner Rede von JD Vance verdeutlicht, dass der Bundesrat am liebsten nichts ändern möchte, obwohl das Trump-Regime gerade alles ändert. So rechnete auch die Economiesuisse in einem Blog kürzlich vor, dass die Schweiz „einer der besten Wirtschaftspartner ist, den die USA überhaupt haben“. Trump hätte jeden Grund an der guten Beziehung festzuhalten. Nur, wer kennt schon die Gründe eines Autokraten, der damit droht, die Zölle für europäische Weine auf 200% zu setzen?
„Neutralität“ ist da kein Ausweg und auch keine Legitimation, um einfach die Rosinen zu picken. Wenn es um demokratische und gesellschaftliche Grundwerte geht, muss man den ganzen Kuchen in Betracht ziehen. Und da ist Europa für die Schweiz in sehr kurzer Zeit sehr viel näher gerückt. Die Frage nach einer stärker mit Europa koordinierten Aussen- und Sicherheitspolitik ist inzwischen keine Provokation mehr. Und auch wirtschaftlich tun stabile und vertieftere Beziehungen mit den europäischen Ländern Not, wenn solche mit den USA nicht mehr garantiert sind. Im täglichen Hü und Hot aus Washington ist die Rolle als Zaungast der EU kein Vorteil.
Darum, reden wir darüber: Wieviel Europa soll es heute sein?
(Der Beitrag erschein Ende März 25 in der PS-Zeitung)